Ich hatte im März 2005 angekündigt, an späterer Stelle über den Strafprozess gegen die mutmasslichen Verursacher meines Unfalls zu berichten.

Warum ich das erst heute - Januar 2007 - mache? Man könnte sagen, aus "ermittlungstaktischen" Gründen. Und solange noch ermittelt wurde, wollte ich ganz einfach noch nicht öffentlich darüber schreiben.

Der Strafprozess

Nach zweimaliger Verlegung fand nun endlich am 10.03.2005 der Strafprozess gegen die vermutlichen Verursacher meines Unfalls statt.
Als Geschädigte vertrat mich mein Anwalt Herr Pöttgen als Nebenklägerin.

Ich hatte schon ein arg mulmiges Gefühl, den Personen gegenüberzutreten, die vermutlich für all das verantwortlich sind, was mir und meinem Freund widerfahren ist.
Die Zeit zuvor mit den zwei verschobenen Ladungen wühlte alles wieder auf. Es kamen all die Bilder aus dem Krankenhaus, all die Schmerzen, all das Ausgeliefertsein in mir hoch. Nächtelang schreckte ich wieder aus besonders häufig auftretenden Albträumen hoch und lag dann anschließend stundenlang mit Grübeleien wach.

Mein Leben ist durch den Unfall aus den Fugen geraten und nicht nur meins. Meine Zukunft ist nebenbei auch mit zerstört worden. Es war und ist ein einziger Albtraum! Die Schmerzen, das entstellte Aussehen. Die Frage, ob ich je wieder arbeiten kann.
Anfänglich überwiegte unendliche Dankbarkeit, überlebt zu haben. Mit der Zeit stellt man sich immer häufiger die Frage, ob und wie es weiter gehen soll.
Und dann kommt Wut hoch, das muss ich auch ehrlich zugeben. Denn an dem Unfall trifft mich nicht die geringste Schuld. Es war kein Unfall bei einer Risikosportart...

Und dann saßen die vier Angeklagten mit ihren Anwälten mir gegenüber:
Da es eine öffentliche Verhandlung war, waren meine Eltern, meine Schwiegereltern, eine Schulklasse und noch ein paar weitere Zuschauer anwesend.
Die Richterin Frau Wirtz eröffnete die Verhandlung mit der Feststellung der Personalien der Angeklagten. Danach verlas der Staatsanwalt die Anklagen. Diese waren mit den Strafbefehlen, die im Januar 2004 nach der staatsanwaltlichen Ermittlung erlassen worden waren, identisch. Diese Strafbefehle wurden damals jedoch von den betreffenden Personen nicht angenommen. Aufgrund dessen kam es auch zu diesem Prozess.

Ich zitiere einige Kernaussagen aus den Strafbefehlen:

"...Die Eiche, von der der Nebenstämmling abbrach, befand sich ca. 6,5 m von der Fahrbahn entfernt... so dass die in 8 m Baumhöhe befindliche Abbruchstelle sich von der Fahrbahn aus etwa in Augenhöhe befand. Dieser Bereich war gut einsehbar und auch nicht durch andere Bäume verdeckt.
Der Stamm der Eiche teilte sich in 6,8 m Höhe in zwei Abkömmlinge, sogenannte Stämmlinge...Einer davon war zur Autobahn orientiert, brach ab und lag zur Unfallzeit quer über die Autobahn. Aufgrund seiner Orientierung zur Autobahn musste dieser Nebenstämmling beim Abbrechen zwangsläufig auf die Autobahn stürzen.
Die Stämmlinge standen in einem steilen Ansatzwinkel zueinander, was von Fachleuten als V-Zwiesel ... bezeichnet wird.
Solche V-Zwiesel spielen bei der Begutachtung von Bäumen auf ihre Verkehrssicherheit hin eine herausragende Rolle wegen ihres hohen Gefahrenpotenzials, denn sie tragen sehr oft ein Ausbruchrisiko eines der beiden Stämmlinge ... Bei weniger wertvollen Bäumen kann ein Abbrechen Richtung Straße durch rechtzeitiges Zurückschneiden verhindert werden.
Im vorliegenden Fall war der Zwiesel, also die Stelle, an der sich die beiden Stämmlinge teilten, bereits im Sommer 2001 eingerissen, doch hatte der Baum diese Rissstelle in der Folgezeit von außen gut sichtbar überwallt, aber nur teilweise kompensiert. Der Riss war ab dem Herbst 2002 erkennbar und hätte Anlass für genauere Untersuchungen des Baumes und weitere Maßnahmen sein müssen.
Das Abbrechen des Stämmlings aus der Krone der Eiche war vorhersehbar und geschah nicht unerwartet..."


Die einzelnen Strafbefehle/Anklagen lauten dann für die einzelnen Personen wie folgt:

Herr R., Straßenwärter und für die Baumschau/Baumpflege im fraglichen Bereich zuständig:

"...Spätestens bei der Kontrolle im Winter 2002 ... hätten Sie erkennen können und müssen, dass am V-Zwiesel der fraglichen Eiche ein Riss vorlag ... hier drohte also die Gefahr des Abbrechens. Indem Sie entgegen Ihrer Garantenpflicht als für die Baumschau der Straßenmeisterei C./M. Verantworlicher nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit die Eiche betrachteten und die Schadstelle so nicht erkannten, sind Sie für das Entstehen des folgenschweren Unfalls verantwortlich..."

Herr J., stellvertretender Autobahnmeister:

"...hätten Sie bei Abwesenheit des Autobahnmeisters ... täglich mindesten eine Kontrollfahrt ... durchführen müssen, wobei Sie unter anderem Bepflanzungen und Bäume hinsichtlich ihres verkehrsicheren Zustandes zu kontrollieren hatten. Da Sie diese Kontrollfahrten nicht durchführten, erkannten Sie nicht die Schadstelle an der Eiche und Sie sind somit für das Entstehen des folgenschweren Unfalls verantwortlich..."

Herr Br., Autobahnmeister:

"...Als Herr R. im Jahr 2001 seine Arbeit als für die Baumschau Verantwortlicher in Ihrem Bereich aufnahm, unterließen Sie es, ihn mit den Anweisungen des Autobahnamtes Sachsen ... über die Sicherheit bei Straßenbäumen bekannt zu machen ...Darüber hinaus hätten Sie selbst als Autobahnmeister gemäß Dienstanordnung ... täglich mindesten eine Kontrollfahrt ... durchführen müssen, wobei Sie unter anderem Bepflanzungen und Bäume hinsichtlich ihres verkehrsicheren Zustandes zu kontrollieren hatten.
Da Sie die Kontrollfahrten nicht durchführen bzw. bei durchgeführten Kontrollfahrten die Bäume nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit betrachteten, erkannten Sie nicht die Schadstelle an der Eiche und sind somit für das Entstehen des folgenschweren Unfalls verantwortlich ..."


Herr B., Angestellter im Autobahnamt, gelernter Meister im Garten- und Landschaftsbau, zuständig für die Grünpflege und Gehölzschnitt:

"... Entgegen Ihrer Verpflichtung führten Sie ... nach dem Sommer 2001 ... keine Kontrollen mehr durch.
Ebenso unterließen Sie es, dafür Sorge zu tragen, dass dem für die Baumschau zuständigen Herr R. die Anweisungen des Autobahnamtes Sachsen ... über die Sicherheit bei Straßenbäumen bekannt gemacht wurden. Sie hätten sich dazu einen schriftlichen Nachweis über die Aushändigung dieser Anweisungen an den für die Baumschau Verantwortlichen vorlegen lassen oder diese Anweisungen selbst an Herrn R. aushändigen müssen ...
Da Sie diesen Pflichten zuwider nach dem Sommer 2001 im fraglichen Bereich keine Kontrollen mehr durchführten und die Aushändigung der Anweisung über die Sicherheit bei Straßenbäumen an Herrn R. nicht selbst durchführten oder die Durchführung überwachten, sind Sie für das Entstehen des folgenschweren Unfalls verantwortlich..."


Der Reihe nach mussten die vier Angeklagten zu dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft Stellung zu beziehen, durch nicht korrektes Ausüben ihrer Tätigkeit den Abbruch des Astes (8 Meter Länge, 50 cm Durchmesser) verschuldet zu haben.
Dabei wurden ihnen Fragen durch den Staatsanwalt, die Richterin bzw. die Anwälte gestellt.
So zeigte sich, dass Dienstanweisungen waren ganz offensichtlich missachtet wurden und keiner dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Die Baumschauen wurden fehlerhaft protokolliert, so dass nicht eindeutig nachweisbar war, ob und wann eine Baumschau in dem besagten Bereich stattfand.

So erfuhr zum Beispiel der für die Baumschau verantworliche Herr R. erst im Zuge der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft etwas über die Bildung von sogenannten V-Zwieseln bei Eichen.

Da fragt an sich schon besorgt, wozu es eigentlich Dienstvorschriften und -anweisungen gibt, wenn trotzdem jeder das macht, was er für richtig hält.

Jeder der Angeklagten schob natürlich jegliche Schuld von sich. Man bedaure zwar meinen Unfall, sehe aber keine Dienstverletzung bei sich.
Es war übrigens das erste Mal, dass eine Art Bedauern zu hören war, wenn auch halbherzig. Während meines gesamten Aufenthalts im Krankenhaus oder auch später hat sich kein Mitarbeiter des Autobahnamtes bei mir entschuldigt oder sich nach meinem Zustand erkundigt.

Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Gutachter Herr Professor Dr. Roloff erörterte vor Gericht noch einmal sehr anschaulich, wie negativ sich V-Zwiesel auf die Sicherheit der Bäume auswirken. Er sprach bei einer ca. 70 Jahre alten Eiche durchaus von einem besonders sorgfältig zu beobachteten Baum. Vor allem nach dem der Riss an der Eiche bereits im Spätsommer 2001 entstanden sein muss. Die Eiche hat versucht, diesen Riss zu kompensieren - dadurch entstand eine gut sichtbare Wulst. Diese hätte im Zusammenhang mit der V-Zwieselbildung zu einer gründlicheren Baumschau führen müssen.
In seinem Gutachten schreibt Herr Prof. Dr. Roloff: "... und die ... eingehenden Untersuchungen belegen eindeutig, dass der Riss bei einer Baumkontrolle im Herbst 2002 oder Frühjahr 2003 hätte gesehen werden können und müssen. Danach hätte gehandelt werden und der Baum gefällt oder zumindest gesichert werden müssen, da man bei einem Baum mit sichtbar gefährlichem V-Zwiesel so nah der Autobahn kein Risiko hätte eingehen dürfen...Das am 23.07.2003 erfolgte Abbrechen eines Stämmlings aus der Krone der Eiche war somit mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersehbar und geschah nicht unerwartet."

Das Autobahnamt hatte ebenfalls einen Gutachter beauftragt. Das Gericht konnte den Ausführungen dieses Sachverständigen nur eingeschränkt folgen. Bereits sein schriftliches Gutachten war von einer klaren Parteinahme geprägt. In seiner mündlichen Erläuterung zu seinem Gutachten wich er von seinem schriftlichen Gutachten ab. Sein Fazit lautete: ein V-Zwiesel an einer Eiche ist kein Hinweis auf ein erhöhtes Gefahrenpotenzial und eine 70 Jahre alte Eiche ist nicht besonders gründlich zu untersuchen, da sie noch ein sehr junger Baum wäre. ?!?!?

Die Verhandlung dauerte von 10.00 Uhr morgens bis nach 18.00 Uhr. Für mich die reinste Qual: mein Rücken und Kopf schmerzte sehr schnell und stark, mir war schwindlig. Ich mußte mich in den Verhandlungspausen hinlegen, um wieder einigermaßen klar im Kopf zu werden. Meine Konzentration ließ ebenfalls merklich nach. Ich war am Abend körperlich und auch geistig richtig fertig.

Es wurden auch viele Zeugen gehört.

Der Polizist, der nachts die Unfallstelle sicherte und erste Fotos der Eiche machte, wurde befragt. Ebenso waren Polizeimeister Obenaus, der die Ermittlungen führte sowie mein Freund als Zeugen geladen. Und auch ich mußte als Zeuge aussagen. Dabei wurde ich nach meinen bleibenden Schäden und den damit verbundenen täglichen Beschwerden gefragt. Welche Operationen noch vor mir liegen? Ob ich je wieder arbeiten werde können? und, und, und
Die Anwälte der Angeklagten riefen Zeugen auf, die die Richtigkeit der Arbeit ihrer Mandanten und damit deren Unschuld belegen sollten - was jedoch nicht unbedingt gelang.

U. a. fragte die Richterin, welche Konsequenzen hinsichtlich der Durchführung der Baumschauen nach meinem tragischen Unfall getroffen wurden:

"KEINE"

Ist das nicht erschreckend! Es kann also immer wieder passieren.

Die Richterin bot am Ende der Verhandlung den Angeklagten an, das Verfahren nach § 153 a der Strafprozessordnung gegen Auflage von Geldstrafen einzustellen.

Drei der Angeklagten nahmen dieses Angebot nach Rücksprache mit ihren Anwälten an.


Es ist bitter für einen Geschädigten, wenn man nach so einem massiven und für immer beeinträchtigenden Schicksalsschlag vor Gericht miterlebt, dass im grunde genommen nur mit erhobenen Zeigefinger "Du-Du" gemacht wird. Es erfolgt eigentlich keine richtige Bestrafung meiner Meinung nach. Dass keine Gefängnisstrafen ausgesprochen werden, war mir schon klar, aber dass die Angeklagten so billig davon kamen, hat mich ein wenig "enttäuscht".
Aber in Deutschland.... Und ich kann so manchen Angehörigen eines Opfers jetzt besser verstehen, wenn er kein Vertrauen in den Rechtsstaat mehr hat.


Herr J.(stellvertretender Autobahnmeister) nahm das Angebot der Richterin zur Einstellung gegen Geldstrafe nicht an. Sein Verfahren wurde am 30.03.2005 weiterverhandelt und endete mit einem Freispruch.
Man könne ihm nicht zweifelsfrei eine Mitschuld an dem Unfall nachweisen. Er verfüge aufgrund seiner Ausbildung nicht über ausreichende fachliche Kenntnisse. Seine Kenntnisse liegen im baulichen und nicht im botanischen Bereich. Es war auch nicht nachweisbar, ob er in der Zeit der fraglichen Baumschauen sein Amt als stellvertretender Autobahnmeister allein ausüben musste.
Da frag ich mich doch, wie so ein fachlich "Unwissender" so eine verantwortungsvolle Aufgabe als stellvertretender Autobahnmeister übernehmen kann und somit nicht nur über bauliche Belange zu entscheiden hat, sondern auch über solch auswirkungsvolle, wie die Durchführung von Baumschauen.
Mit dem Ausgang dieser Verhandlung hatte ich nicht gerechnet, auch wenn ich aus dem vorangegangenen Termin ja dahingehend vorbereitet war.

Der Staatsanwaltschaft legte gegen diesen Freispruch Berufung ein. Da ich nichts wieder hörte, gehe ich davon aus, dass die Berufung scheiterte.

Besonders dramatisch finde ich, dass das Autobahnamt Sachsen aus meinem Unfall in Bezug auf die Baumschauen keinerlei Lehren gezogen hat.
Ende des Jahres 2003 ereignete sich ein ähnliches Ereignis: auf der A 4 "kippte" ein Baum auf die Fahrbahn. Da es tagsüber war, konnte der nachfolgende Verkehr rechtzeitig ausweichen.
Und eine gewisse Zeit später - wann genau, kann ich leider nicht genau sagen - muß auch wieder ein Baum auf die Fahrbahn "gekippt" sein.
Also lässt sich in beiden Fällen sehen, dass nach wie vor mit den so notwendigen Baumschauen geschlampt wird - frei nach dem Motto: in Kürze wird da eh die Autobahn verbreiter und die Bäume gefällt, da können wir uns jetzt Zeit und Geld für die Baumschau sparen.




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