Heilung 2006

Januar 2006
Werde ich dieses Jahr "fertig"? Am Anfang dachten wir alle, dass in ca. 1 bis max. 2 Jahren mein Aufbau- und Wiederherstellungsprozeß abgeschlossen ist. Da verschätzten wir uns allerdings ein klein wenig, da einerseits der Kieferaufbau sehr lange Zeit in Anspruch nahm - es mußte ja erst alles einheilen, bis es weiterging - und andererseits die kieferorthopädische Behandlung auch nicht von heute auf morgen geht.
Die abschließende Operation zur Narben- Mundwinkel- und Lippenkorrektur kann aber erst dann erfolgen, wenn die Implantate endversorgt sind, d.h. die Zähne drauf sind. Erst dann ist eine kosmetische Korrektur sinnvoll.
Das wird frühestens erst am Endes des Jahres.

Am 04.01.2006 trat ich meine Reha in Berggießhübel an. Es ist der Nachbarort von Gottleuba (da war ich schon 2004 zur Reha), so dass ich mich schon ein klein wenig auskannte - wo es z. B. den besten Cappuccino gibt und wo die Torte besonders lecker ist.
So eine Reha/Kur soll man ja auch genießen und sich richtig gut erholen!
Sechs Wochen lang war ich zu einer psychosomatischen Reha. Einfach gesagt, wollte man meine Seele ins Gleichgewicht bringen und mir bei der Aufarbeitung dieses schrecklichen Unfalls und seiner Folgen helfen.
Die Ärzte waren sich darin einig, dass meine körperliche Einschränkung nicht mehr zu bessern sein. Ich muß lernen, damit klar zu kommen und mein Leben entsprechend einrichten. Das ist aber zum Teil leichter gesagt als getan: ich bin jung und es fällt mir ehrlich gesagt arg schwer, mit den Schmerzen, dem Schwindel und dem Nicht-Richtig-Bewegen-Können klar zu kommen. Der Tagesablauf ist geprägt von den erforderlichen Pausen aller 1-2 Stunden, wenn die Schmerzen wieder stärker werden.

Andererseits - ICH LEBE!

In Absprache mit der Ärztin war mein Tagesprogramm nicht übermäßig vollgestopft, so dass ich immer Zeit hatte, mich zwischen den Behandlungen hinzulegen. Was mir auch guttat.
In psychologischen Einzelgesprächen wurde ein Stück weit Aufarbeitung betrieben. Aber wer ähnlich Traumatisches erlebt hat, der weiß, dass es verdammt lange dauert, bis man über so etwas weg ist. Durch das ganze Erzählen ging es mir jedoch erheblich schlechter. Die letzte Zeit zu Hause hatte ich alles verdrängt - und es ging mir damit relativ gut. Mit dem Aufwühlen durch die Gespräche war alles wieder aktuell. Ich fühlte wieder die Hilflosigkeit, einem schrecklichen nicht abwendbaren Ereignis ausgesetzt zu sein und an den Folgen knaubeln zu müssen. Ich bekam wieder heftigste Albträume, grübelte stundenlang und schlief äußerst unruhig. Kurz gesagt, mir ging es seelisch erst mal so richtig dreckig.
Diese Einzelgespräche wurden noch durch tägliche Gruppensitzungen "vertieft". Es fiel mir allerdings schwer, mich in der Gruppe zu meinen Problemen zu äußern. Ich bin da eher der Typ, alles allein packen zu wollen. Im "Mittelpunkt" stehen war schon früher nicht mein Ding.

Rückenschwimmen und medizinisch verordnetes Training (eine Art Fitnesstudio) brachten mich an den Rand meiner körperlichen Belastbarkeit. Früher war ich durchaus sportlich, war auch im Fitnesstudio - aber dass ich körperlich in so schlechter Verfassung bin, war auch für mich deprimierend. Das will man sich selber ja auch nur schwer eingestehen.
Aber mich plagten so stark Schmerzen und Schwindel, das war nicht schön.Äußerst wohltuend waren die Fangopackungen und eine spezielle chinesische Rückenmassage.

Nun kann es natürlich sein, das ich aufgrund der Häufigkeit von körperlicher Belastung - zu Hause gehe ich einmal die Woche zur Physiotherapie - da nicht ganz unerheblich war.

Was ich ebenfalls genossen habe, waren die Gestaltungstherapien: einfach mal Zeit haben und etwas Schönes basteln. Etwas, wofür man ja im normalen Alltag einfach zu wenig Zeit sich nimmt. Ich sollte auf alle Fälle etwas Kreatives auch zu Hause machen.
Im Freizeitprogramm töpferte ich und probierte die Serviettentechnik aus. Und bei allem stellte ich mir immer vor, wo ich das "Produkt" hinstellen werde - so etwas wie Vorfreude kam da auf.

In der Zwischenzeit ergab sich allerdings eine große Neuigkeit, die ich bei der Reha erfuhr: die BfA bewilligte mir rückwirkend vom Antragsdatum (04.10.2004) an die Erwerbsminderungsrente befristet bis zum Ablauf des Monates, indem meine Reha endet - also bis zum 28.02.2006.
Welch ein Erfolg!
Ich stellte noch während meines Aufenthaltes in Berggießhübel einen Antrag auf Weiterzahlung der Rente.

Da ich große Schwierigkeiten mit meiner Konzentration und Merkfähigkeit seit dem Unfall habe, übte ich dies ebenfalls mit einer Art Memory am Computer. Weiterhin erhielt ich Texte, zu denen im Anschluß Fragen über den Inhalt gestellt wurden.
Klar merke ich im Alltag, dass ich dort arge Probleme habe. Das tut man aber immer schnell ab - wahrscheinlich als Selbstschutz.
Als ich dann aber die Auswertungsergebnisse dieser Übungen sah, so schwarz auf weiß, wurde mir doch ein bissel komisch zumute.
Die Ärztin erklärte mir dies als Folge der hirnorganischen Verletzungen (Schädelprellung und massives posttraumatisches Psychosyndrom.)

Februar 2006
Mitte des Monates war meine Reha zu Ende. Der abschließende Reha-Bericht kam zu dem Schluß, dass ich maximal für 3 Stunden erwerbstätig sein könnte. Dies aber mit der Einschränkung, dass ich mich aufgrund meiner körperlichen Probleme nach einer Stunde hinlegen muß.
Erstaunlicherweise war genau das auch die Einschätzung der Mediziner, die mich im Mai 2005 im Auftrag der BfA "begutachtet" hatten. Und nach deren Gutachten angeblich noch nicht entgültig über meinen Rentenanspruch entschieden werden konnte.

Ich kann nun nur hoffen, dass die BfA nach dreimaliger Bestätigung meiner Arbeitsunfähigkeit die Zahlung meiner Rente nicht weiter hinauszögert.

Da logischerweise nicht innerhalb von 14 Tagen nach Beendigung der Reha über die Weiterzahlung meiner Rente entschieden wurde, meldete ich mich fürsorglich Ende des Monats beim Arbeitsamt.

April 2006
Anfang April erhielt ich meinen neuen Rentenbescheid - befristet bis Ende Fabruar 2007 wegen voller Erwerbsminderung. Ich staunte diesmal schon über die schnelle Bearbeitung.


August 2006
Zwischenzeitlich sind meine zwei Implantate im Oberkiefer geöffnet und zahntechnisch versorgt worden.
Bekannterweise hatte ich letztes Jahr bei meiner Krankenkasse eine Anfrage gestartet, ob ich einen Zuschuß zu meiner "Zahnversorgung" - nur erforderlich durch den Unfall - erhalte. Dies war positiv entschieden worden. Und so sind die Kosten für die provisorische Versorgung der Implantate übernommen worden.

Vor wenigen Tagen begann die zweite Phase meiner kieferorthopädischen Behandlung: zusätzlich erfolgt jetzt auch das Richten der Zähne im Unterkiefer, damit der Biss wieder richtig passt. Die Backenzähne oben links sind bereits an Ort und Stelle - jetzt werden die Frontzähne gerichtet. Rechts erfolgt der endgültige Zahnaufbau erst nach Abschluß der kieferorthopädischen Behandlung.
Zahnärztin und Kieferorthopädin versuchen aus den "Restbeständen" und dem neu aufgebauten Kiefer das bestmögliche heraus zu holen, damit ich lange Freude an meinen Zähnen habe.


September 2006
Anfang September erhielt ich ein Schreiben der BfA, in dem man mir nochmals mitteilte, dass meine Erwerbsunfähigkeitsrente am 28.02.2007 ausläuft. Ohne eine Weiterbeantragung würde sie ab diesem Tag ersatzlos wegfallen.
Bei meinem Gesundheitszustand ist eine Art Status Quo erreicht - es gibt keinerlei Verbesserungen. Ich habe deutliche körperliche Einschränkungen in der Bewegungsfähigkeit der HWS verbunden mit Schmerzen und Schwindel sowie geringem Durchhaltevermögen (brauche alle 1,5 - 2 Stunden eine Pause zum Hinlegen und zur Schmerzreduktion) und erhebliche Konzentrations- und Auffassungsprobleme. Mit meinem Zustand ist eine berufliche Tätigkeit undenkbar.
Also ging ich hier in Chemnitz sofort zur Rentenstelle und wollte schnellstmöglich meinen Antrag auf Weitergewährung abgeben. Dort erfuhr ich allerdings, dass ich diesen Antrag frühestens 3 Monate vor Wegfall der Rente einreichen "darf". Und ich sollte doch gleich ein Attest über meinen Gesundheitszustand beilegen, um das Ganze zu beschleunigen.
Gesagt, getan - ich ging im Anschluß zu meinen Hausarzt. Der wiederum erklärte mir, dass ein Attest gar nichts bewirken würde. Ich würde erst nach Einreichung meines Antrages im Auftrag der BfA zu Gutachtern geschickt.
Meinen Antrag auf Weitergewährung der Rente reichte ich dann aber schon im Oktober ein. Kann ja nicht schaden, ein bissel eher zu sein!


November 2006
Vom 16.11. bis zum 22.11.2006 war wieder einmal ein stationärer Aufenthalt in der Klinik angesagt.

Dabei wurden als Hauptziel sämtliche Weisheitszähne (noch drei Stück an der Zahl) entfernt. Dies war notwendig, um noch mehr Platz für die kieferorthopädische Behandlung zu schaffen und ein Weisheitszahn "drückte" auf den benachbarten Backenzahn, so dass der nie richtig rausgekommen war. Vielleicht überlegt es sich ja jetzt der Zahn und steht mir dann vollständig zur Verfügung.

Als zweites sollte an meinem Kiefer ein wenig die Kontur gerichtet werden. Wenn ein Knochen verletzt ist, wächst üblicherweise bei der Heilung mehr Knochenmasse um die Bruchstelle. Wie eine Wulst kann man sich das vorstellen. Ist der Bruch dann wieder gut verheilt, kommen eine Art Fresszellen, die den entstandenen Überschuss wieder abarbeiten, so dass zum Ende der Knochen quasi wieder wie neu ist.
Bei meinen Kochenfragmenten (mit jeder Menge Schrauben und Platten urspünglich fixiert) blieb aber die holprige Kontur. Und ausserdem steckte ein Knochenstück "quer" unter dem Kiefer - dort hatte ich eine "Beule". Seitlich gesehen hätte man sogar von einem Doppelkinn sprechen können.
Wobei ich ganz ehrlich sagen muß, das auf der rechten Seite mein Kinn-Kiefer-Bereich ziemlich nach unten "hängt" - also schief ist. Zusammen mit den Narben und dem hängenden Mundwinkel ist es schon eine arge Entstellung. Ich dachte ursprünglich, dass allein das verlagerte Knochenstück dieses Schief- und Dicksein des Kiefers bewirkt. Aber ich wurde eines Besseren belehrt.



  Die Ärzte wollten also versuchen, die Kontur einigermassen symetrisch und glatt zu machen und das Knochenstück zu entfernen. Was etwas schwierig war, da man durch den Mund operierten wollte - damit auf diese Art aussen keine weitere Narbe entstehen.


Zur genauen Planung der Kieferkorrektur wurde ich zum CT geschickt. Aus den scheibchenweisen Bildern setzte der Computer ein dreidimensionales Bild zusammen. Dabei ist auch sehr deutlich dieses verlagerte Knochenstück zu sehen.



Zwischenzeitlich stand auch mal die Überlegung im Raum, eine Kinnplastik durchzuführen, bei der die Kinnspitze abgesägt und danach im "richtigen" Winkel wieder aufgesetzt wird. Das klang natürlich auch erst mal ein bissel erschreckend - aber schließlich zählt das Ergebnis. Nach Auswertung der 3-D-Annimation wurde dann allerdings "nur" die erstbeschriebene Kieferkorrektur durchgeführt.

Ich war frühmorgens die erste Patientin im OP. Die OP/Narkoseschwester war noch am Vorbereiten des OP-Saals. Da ging an der anderen Seite die Tür auf und ich wurde mit einem freundlichen "ach, die Uta mal wieder" von "meinem Sandmännchen" begrüßt. So ein Zufall ist schon echt klasse! Wollte mich doch dieser Anästhestist nicht zum ersten Mal schlafen legen... Klingt jetzt bestimmt doof: auch wenn ich keine Angst vor der OP hatte, jetzt fühlte ich mich noch ein Stück weit entspannter und aufgehobener. Es war, wie einen guten Bekannten zu treffen und genau zu wissen, worüber man spricht.

Und, Sandmännchen - wenn Du diese Zeilen lesen solltest: ich kann mich noch genau an unser letztes Gesprächsthema erinnern!

Da im Saal keine Hektik herrschte und die Operateure sich noch umzogen, wurde ich gaaaanz langsam ins Land der Träume gebracht.
Nach diesem Gefühl könnte man fast süchtig werden...

Dank der Medikamente hatte ich im Anschluß an die OP so gut wie keine Schmerzen. Abends bin ich schon wieder ein paar Schritte mit meinem Freund durch den Klinikpark gelaufen. Gut, man könnte an der Stelle sagen, dass ich ja operationstechnisch ein alter Hase bin. Ich brachte kaum den Mund auf - o.k., manchen wirds gefreut haben. Zwischen Wangeninnenseite und Unterkiefer/Zahnreihe und hinterm Unterkiefer/Zahnreihe und Zunge war ich vernäht.
Das Schlimmste war wie üblich die tagelange Ernährung mit Suppen. Man stelle sich bitte vor - früh, mittags und abends nur Flüssignahrung.... Ich nahm wieder mal 3 Kilo ab - vor Weihnachten nicht unbedingt verkehrt.
Mommentan bin ich noch nicht hundertprozentig glücklich mit dem Ergebnis - aber vielleicht ist ja alles immer noch leicht geschwollen. Und diese Schwellung kann sich sehr lange halten.


Wenn man das aber so sieht, kann man aber zufrieden sein
Vorher Nachher Bilder:




Dezember 2006
Ich hatte 2 Termine bei Gutachtern zwecks erneuter Feststellung meiner Erwerbsunfähigkeit. Ein Orthopäde und ein Neurologe begutachteten mich.

Ein bisschen fragt man sich schon, was nach so einer Zeit eigentlich an gesundheitlichen Fortschritten seitens der BfA erwartet wird? Ein Blinder kann auch durch Spontanheilung nicht auf einmal wieder sehen. Und was die Gutachten jedesmal kosten....

Das Ergebnis bleibt allerdings abzuwarten.


Hier geht es mit der Heilung 2007 weiter

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