Die nächsten reichlich 5 Wochen meines Lebens verbrachte ich auf der Intensivstation.

4 Wochen davon "verschlief" ich im Koma.

Es waren schlimme Wochen für meine Angehörigen, den es ging einen Tag bergauf, den nächsten wieder bergrunter. Einige Dinge will ich hier aufschreiben.

Ich muß einen schrecklichen Anblick geboten haben: die Wunden im Gesicht, der angelegte Halofixateur und man hatte mir meine ehemals langen Haare abrasiert. An sich in so einer Situation nicht weiter schlimm. Aber wenn man einen Menschen nur mit langen Haaren kennt und dann sind sie auf einmal ab....
Durch die Verletzungen war mein Gesicht stark aufgequollen.

Den Angehörigen bleibt nur eins: Hoffen und Warten und das kann sehr zermürbend sein.
Krank Mein Freund Christian hat viel mit mir geredet. Dabei ging auch meine Herzfrequenz leicht nach unten. Als würde mich das irgendwie beruhigen. Manche Patienten nehmen gesagte Dinge im Unterbewußtsein auf.
War leider bei mir nicht so. Als Christian mich später nach ganz markanten Sachen fragte, konnte ich nur mit den Achseln zucken.
Ich habe in meinem Spezialbett gelegen wie tot. Erst nach 5 Tagen habe ich mich das erste mal bewegt. Sogar die Augen muß ich kurz geöffnet haben.

Die nächste Zeit hatte ich heftige Bewegungsstürme, wie es in Fachsprache heißt. D. h., ich habe wild gestrampelt, als wolle ich mich wehren. Mit Medikamenten ließ sich dies jedoch unterdrücken, da dabei immer eine Verletzungsgefahr besteht.
Die Ärzte schlossen ein Schädel-Hirn-Trauma nicht aus. Es könne auch das sogenannte Durchgangssyndrom sein.

Nach 12 Tagen erklärte der Neurochirurg meinem Freund, dass bei einem Nichtverwachsen der Wirbelbruchstücke an dieser Stelle eine Platte eingesetzt werden muß. Würde heißen, nie wieder den Kopf normal bewegen können.
Darüber wird entschieden, wenn am 15. Tag ein MRT gemacht wird.

Der 13. Tag im Koma. Zur Abwechslung habe ich die Augen unter geschlossenen Lidern bewegt.Und ich habe nicht so wild gestrampelt. Christian hat jeden Tag auf ein kleines Zeichen der Besserung gehofft, da war es.

Am 15. Tag habe ich auf das Ansprechen von Christian reagiert. Ich machte die Augen auf.
Die heutige Untersuchung ergab, dass der Wirbel gut ausschaut und das Rückenmark nicht gequetscht wurde. Endlich mal eine gute Nachricht.

Am 18. Tag ging langsam meine Temperatur nach oben und ich hatte eine Lungenentzündung. Die rührte von den Resten des Blutes her, welches ich eingeatmet hatte. Zur Unterstützung der Lunge wurde ich wieder künstlich beatmet.

Wenn man voraussichtlich länger wie 14 Tage nicht geschäftsfähig ist, muß die Fürsorge für diese Person beantragt werden. Man bekommt einen sog. Vormund, der sich um alle wichtigen Dinge und Entscheidungen kümmern muß. Dazu wird man u.a. von einem Mitarbeiter des Amtes für Jugend und Familie aufgesucht. Dieser macht sich ein Bild über den Zustand der zu betreuenden Person. Das Gericht entscheidet, wer den Fürsorgeauftrag erhält. In meinem Fall war es mein Lebenspartner Christian.

Der 19. Tag brachte eine neue niederschmetternde Aussage: wahrscheinlich sind in meinem Gedächtnis die letzten 1 bis 2 Jahre gelöscht. Und je länger das Koma andauert, desto länger kann diese Gedächtnislücke werden. Tage später lautete die Prognose: ca. 9 Jahre Gedächtnisverlust.

Die Beruhigungsmittel wurden am 21. Tag heruntergesetzt. Theoretisch hätte ich dann langsam aus dem künstlichen Koma aufwachen sollen. Aber das tat ich nicht. Seit 2 Tagen zeigte ich überhaupt keine Reaktionen mehr.

Das Fieber stieg: 38,6 Grad. Keiner wußte so recht, weshalb ich nicht aufwecken wollte. Eine Schädigung des Hirnstammes konnte mit einem erneuten MRT ausgeschlossen werden.
Außerdem hatte ich vermutlich starke Schmerzen, denn wenn man mich am Arm berührte, habe ich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand weggezogen.

Am 24. Tage hatte sich die Temperatur wieder normalisiert. Eine leicht erhöhte Temperatur von 37,5 Grad ist im Koma ganz normal. Man hatte mir 2 Schläuche in beiden Lungenflügeln platziert, damit die Lungenflüssigkeit ablaufen kann. Die Flüssigkeit war Ursache der Lungenentzündung. Um die Arbeit der Lunge zu erleichtern, wurde ich erneut beatmet.

Mein nächstes "Lebenszeichen" gab ich am 26. Tag des Komas von mir: ich habe die Augen geöffnet. Allerdings mit leerem Blick. Meine Umwelt habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht wahrgenommen. Auch habe ich die Hand meines Freundes gedrückt.

Allerdings stieg das Fieber wieder und man fand bei mir resistente Bakterien, die nicht auf herkömmliche Antibotika reagierten. Die waren wahrscheinlich auch die Erklärung für meine Schmerzen. Damit diese nicht weiterverbreitet wurden, mußten meine Besucher sich komplett schützen, d.h. sie durften nur mit Mundschutz, Handschuhen, Kopftuch und Kittel zu mir.

Die Lungenentzündung war am 28. Tag fast abgeheilt.
Meine resistenten Bakterien machten den Ärzten noch Kopfzerbrechen. Aus diesem Grund wurde eine Punktion des Rückenmarkwassers durchgeführt. Dabei fand man Staphylokokken sowie Enterokokken.
Staphylokken hat fast jeder Mensch, meistens in der Nasennebenhöhle. Solange das Imunsystem intakt ist, bekämpft das Immunsystem die "Eindringlinge". Nur mein Imunsystem war ja im Streik. Damit bestand die Gefahr, dass die Staphylokokken auf die Gehirnhaut "übersiedeln".
Das war auch geschehen, denn ich hatte zu allem Übel eine Meningitis.

Bei einem erneuten MRT wurde auch noch eine leichte Gehirnprellung diagnostiziert. Die braucht ca. 3 Monate zum Abheilen.

Die Schläuche aus den Lungen wurden am 29. Tag meines Komas entfernt. Ich atmete auch wieder selbst.

22.08.2003 - der 30. Tag "Willkommen im Leben!"

Ich habe das erste Mal bewußt auf meinen Freund Christian reagiert. Er sagte mir, zum Ja-Sagen einmal und zum Nein-Sagen zweimal mit den Augen zu klimpern. Auf einfache Fragen konnte ich so eine Antwort geben. Ich sollte seine Hand drücken, wenn ich ihn verstehe. Habe ich auch, und gelächelt. Aber so richtig bewußt habe ich das ganze doch nicht mitbekommen.
Reden konnte ich aufgrund der Verletzungen des Kiefers, der Lippe und durch den Luftröhrenschnittes noch nicht. Ich gab nur Laute von mir.

Später konnte ich mich auch nicht an den Besuch meines Freundes und aller Familienangehörigen erinnern. Wie an so vieles, was in den folgenden zwei Wochen passiert ist.
Die erste richtig bewußte Erinnerung ist an meine Eltern. Da standen zwei vermummte Gestalten (Ansteckungsgefahr) an meinem Fußende, die um die Brille so aussahen, wie meine Eltern. Mir kam der Gedanke, wenn die da sind, muß es sehr schlimm um mich stehen.

Wie ich weiter mit dem Aufwachen und dem Begreifen der Situation kämpfte, lesen Sie unter Aufwachen.

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