Am 22.08.2003 "wachte" ich aus einem 30igtägigen Koma auf. Die folgenden 10 Tage hatte ich damit zu kämpfen, klar im Kopf zu werden.
Ich war zwar im eigentlichen Sinne wach, aber noch so durch den Wind, dass ich mich an diese Zeit so gut wie überhaupt nicht erinnern kann.

Es gibt Patienten, die nach einem Koma aufwachen, als hätten sie nur sehr tief geschlafen. Andere brauchen länger, um erstens wach zu werden und zweitens zu begreifen, was passiert ist.

Es ging mit den gleichen Höhen und Tiefen wie zuvor im Koma weiter. Ich habe es meiner Umwelt extrem schwer gemacht. Und mir natürlich auch.

Den "ersten" Tag habe ich mit meinem Freund "geredet" - mit Augenklimpern, Hand bei Verstehen drücken bzw. mit Lächeln auf ihn zu reagieren. Komischerweise wusste ich, dass ich einen Unfall hatte.

Zwei Tage später ignorierte ich meinen Freund. Wahrscheinlich konnte ich nicht recht verstehen, das ich bewegungsunfähig ans Bett gefesselt bin und er keine Verletzungen hatte.
Hinzukommt, das ich meinen Kopf keinen Milimeter aufgrund des Halofixateurs bewegen konnte. Und dieses Gewicht stark drückte.
Dann kam die Frage nach meiner Mutti - ein Urinstinkt. Selbst alte Menschen verlangen in Notsituationen nach ihrer Mutter.
Wobei man nicht von Reden bzw. Fragen sprechen kann. Eher gekrächzt. Das Reden ging noch nicht, da der Luftröhrenschnitt noch nicht verheilt war und dort die Luft entwich.

Ich habe auf alle seine Versuche, mit mir zu kommunizieren, nicht reagiert und wo anders hingeschaut. Das muß schlimm für ihn gewesen sein. Einen Tag reagierte ich auf ihn und den nächsten Tag ist er Luft für mich. Ich lag nur mit unruhigen, offenen Augen da.
Fast vier Tage habe ich "gedacht", dass er mir Schlimmes angetan hat und ich deshalb im Krankenhaus liege.

Bestimmt waren daran meine Albträume schuld. Und die waren nicht ohne. Die waren ziemlich nah an der Realität, was bestimmte Personen betrifft, aber sonst stellenweise der blanke Horror.
Ich las erst kürzlich in einem Interview: "Wenn wir akute Probleme haben, liegt das Verhältnis von negativen zu positiven Gedanken bei 95:5. Ansonsten bei 60:40." Meine Albträume sind also nicht so sehr verwunderlich.

Am 4. Tag des Aufwachens zeigte ich zuerst keine Reaktion des Erkennens meinem Freund gegenüber. Dann fragte ich ihn, was er meinen Körper angetan hat (Albtraum). Ich stieß seine Hand weg, rollte aufgeregt mit den Augen und knurrte "Hau ab".

Den nächsten Tag redete ich noch immer wirres Zeug zu meinem Freund: "Du hast mich gevierteilt." Ich hatte wieder einmal meine Träume als Realität angenommen. Selbst meine Freundin, die mit zu Besuch war, war bei dieser Frage schockiert.
Aber an dem Tag bemerkte ich nach einiger Zeit, als ich mich langsam wieder beruhigte, dass das ganze wohl eben nur wirre Träume sind. Und ich konnte mich an Eckdaten aus meinem Leben erinnern: wo wir z. B. Silvester 2003 gefeiert haben. Es war das erste Gespräch bei "vollem" Bewußtsein. Ich war sogar frech.

Den nächsten Tag war ich wieder so einigermaßen klar im Kopf. Worüber wie uns am Vortag unterhalten haben und wer mich besucht hat, das wusste ich allerdings nicht mehr. Also ein Defekt im Kurzzeitgedächtnis! Gott-sei-dank nur vorübergehend.

Zum größten Schock für meinen Freund drehte ich am folgenden Tag wieder mal kräftig durch. Ich war stark beunruhigt, voller Angst und richtig hysterisch. Ich habe geschrien und gestrampelt. Ein Albtraum war wieder einmal für mich Realität geworden und alle seine Beruhigungsversuche mißlangen. Man stellte mich dann mit Hilfe von Medikamenten ruhig.
Laut Ärztin der Intensivstation jedoch völlig normal bei einem Schädel-Hirn-Trauma. Dieses Auf und Ab in meiner Psyche könnte bis zu 9 Wochen anhalten.
Es erschreckt mich selbst heute noch, dass ich einen Tag relativ normal war und den nächsten verrückt gespielt habe.

Auch schrie ich meinen Freund eines Tages mit folgenden Worten an: "Geh zu den Personenschützer und sag denen, hier wird ein Person fixiert. Ich möchte noch nicht sterben. Christian hör mir zu. Geh und sag es denen. Hier wird eine Person fixiert. Ich will nach Hause. Rede ich chinesisch?" Ich habe absolut durchgedreht.
Und der Wahn mit der Fixierung kam nicht von ungefähr: um mich selber vor Verletzungen zu schützen wurde ich stellenweise an den Armen festgebunden, wenn ich wieder mal wie wild strampelte.

Acht Tage nach dem Aufwachen wusste ich nicht, was am Vortag war. Aber: ich wusste was vor zwei Tagen war! Ein enormer Fortschritt - ich kriegte langsam Ordnung in mein Gehirn.

Durch das lange im Koma liegen, war mein Tag-Nacht-Rhythmus total aus den Fugen geraten: ich verschlief teilweise den halben Tag und lag nachts stundenlang wach. Mein Freund riet mir, dann eben nachts "Kraftübungen" zu machen, um die Motorik der Hände/Arme zu bessern. Also, hab ich nachts mein Kuscheltier "geknetet" - bis ich vor Entkräftung wieder einschlief.

Ich begann, bewußt meine Träume zu steuern. D. h., wenn ich merkte, es wird ein Albtraum, weckte ich auf.

Für mich der erste großen Schritt war, als ich das erste mal im Rollstuhl gesessen und sogar mal kurz gestanden habe. Alles natürlich mit Hilfe! Bei meiner Entkräftung wäre ich sonst zusammengeklappt. Der Halofixateur war auch nicht ganz leicht.

Das erste Essen - Pudding - war ein Festtagsschmaus. Feste Nahrung konnte ich aufgrund der schwerwiegenden Verletzungen an Mund und Lippe noch nicht essen.

Nach neun Tagen wurde ich von der Intensivstation ins Wirbelsäulenzetrum verlegt. Fast die ganze erste Woche dort (also die zweite Woche meines Aufwachens) habe ich mehr oder weniger verschlafen. Ich kann mich selbst auch an vieles in diesen Tagen nicht bewußt erinnern.

Jeden Tag wurde mein Kopf klarer, das Gedächtnis funktionierte immer besser. Ich wußte genau, wer wann zu Besuch kommt.

Kam mein Freund allerdings mal später, ängstigte ich mich fürchterlich, dass er nichts mehr von mir wissen will.

Zwischenzeitlich hatte ich mich auch im Spiegel und damit das "kosmetische" Ausmaß meiner Verletzungen gesehen: Haare abrasiert, die fehlenden Zähne, schiefer Mundwinkel, fehlendes Stück Lippe und jede Menge Narben im Gesicht.

Einmal wachte ich im Wirbelsäulenzentrum nachts noch schreiend auf - ein Albtraum.

Das Wirbelsäulenzentrum wurde bis zum 12.11.2003 mein "neues, zweites Zuhause".

Was für Albträume ich hatte, können Sie unter Albträume lesen.

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