Heilung 2004

Ich wurde natürlich nicht komplett gesundet aus dem Krankenhaus entlassen. Bis ein einigermaßen pasabler Zustand erreicht ist, vergehen ungefähr noch 2 Jahre. Da liegen noch einige Operationen vor mir.

Einen kleinen Teil habe ich bereits hinter mir.

Seit meiner Entlassung bin ich in ständiger physiotherapeutischer Behandlung, um die Beweglichkeit der Halswirbelsäule zu normalisieren. Wobei ich weiß, dass ich mich nie wieder in dem Radius wie vor dem Unfall bewegen kann. Man muß sich in vielen Dingen und Bewegungen erst an den neuen Zustand gewöhnen.
Zur Zeit habe ich immer noch das Problem, nach spätestens 2 Stunden Sitzen starke Rückenschmerzen und Kopfschmerzen zu bekommen. Dann muß ich mich hinlegen, bis sich der Rücken langsam beruhigt hat.
Vermutlich sind die Rückenschmerzen ein Resultat der Einschränkung der Halswirbelsäule. Da ich mich anders bewege, "meckert" die Wirbelsäule ein Stück weiter unten.
Ich kann nur hoffen, dass die Rückenschmerzen mit der Zeit und der Verbesserung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule aufhören. So ist das kein angenehmer Zustand.

Auch soll die Bewegung von rechter Schulter und Arm weiter verbessert werden. Wobei diese Behinderung nicht durch den Unfall an sich gekommen ist, sondern vielmehr durch ein unglückliches Aufliegen. Vielleicht ist das auch durch mein unkontrolliertes Strampeln während des Komas passiert. Das wird wohl nie genau geklärt werden.

Da ich noch immer große Probleme mit dem Sprechen habe, befinde ich mich seit März 2004 in logopädischer Behandlung.
Beim Sprechen verziehe ich den Mund, so daß es aussieht, als hätte ich einen Schlaganfall gehabt. Die Bewegungen des Mundes sind nicht mehr symmetrisch.
Anfänglich sträubte ich dagegen; "da gehen doch nur kleine Kinder hin, die mit der Zunge anstoßen!" Aber ich habe mich eines besseren belehren lassen.
Die Übungen sehen zwar ein bisschen witzig aus, hören sich auch manchmal so an, aber sie helfen. Die Beweglichkeit der Lippen ist besser geworden, auch die Symmetrie des Mundes.

Ich nahm und nehme ebenfalls die Hilfe einer Psychologin in Anspruch, um das ganze Dilemma besser verarbeiten zu können. Es bereitet mir immer noch ein riesiges Problem, den Unfall und den anschließenden Krankenhausaufenthalt und die damit verbundenen Schmerzen zu akzeptieren.

"Was habe ich bitteschön verbrochen, dass mir so etwas passieren mußte?"

Diese Frage stelle ich mir immer, wenn ich wieder in ein tiefes Loch falle.

Februar 2004
Im Februar 2004 stand die erste Operation an: es wurden die Platten aus dem Unterkiefer entfernt und die Narbe des Luftröhrenschnittes korrigiert.
Mein Gesicht schwoll nach der OP kräftig an; ich sah ein bissel aus, wie ein Hamster. Es bildete sich ein "schönes" Hämatom.
Am Luftröhrenschnitt war eine Art Krater zurück geblieben, da sich durch das lange Liegen die Muskeln und unteren Gewebeschichten seitlich zurück gezogen hatten. Diese Stelle war nur von dünner Haut überwachsen.
In der OP wurden die unteren Muskel- und Gewebeschichten wieder passgenau zusammen genäht. Jetzt ist dort nur noch eine zarte Narbe sichtbar.

Mai 2004
Anfang Mai 2004 begann der Knochenaufbau im Unterkiefer. Zur Erinnerung: dort fehlte mir ein 2 x 2 cm großes Stück Kiefer. Dafür wurde ein Stück Knochen (Blockimplantat) aus dem Beckenkamm entnommen.
Körpereigenes Material hat den Vorteil, nicht abgestoßen zu werden.
Dieses Stück Knochen wird mit einer neuen Platte in Position gehalten und wächst dort hoffentlich fest ein.
Ich bekam, wie auch bei der ersten OP, für mehrere Tage Antibiotika. Damit sollen Heilungsstörungen durch Bakterien verhindert werden.
Anfänglich durfte ich nur mit Krücken laufen, um meine Wunde am Becken zu schonen. Es tat auch kräftig weh. Eine ganze Zeit lang lief ich wie eine hüftkranke Omi. Heute nach reichlich einem Monat habe ich keine Probleme mehr.


August 2004
Als nächstes war im August 2004 die Zahnimplantierung im Unterkiefer geplant. Es werden dabei zwei "Metallhülsen" in den Kiefer eingebracht. In diese Hülsen werden nach weiteren 6 Monaten der Einheilung die neuen Zähne verankert.

Reha in Bad Gottleuba
Vom 10.08.2004 bis zum 11.09.2004 verbrachte ich anstrengende aber auch erholsame Tage zur Rehabilation in Bad Gottleuba.
Der Gesundheitspark liegt idyllisch an einem Berghang in mitten eines riesigen Parkes. Es ist eine der ältesten Kurkliniken in Deutschland. Erbaut im Jugenstil zwischen 1909 und 1913.

Im Klinikgelände befindet sich unter anderem eine medizinhistorische Ausstellung. Die ist hochinteressant. Sieht man doch dort, wie früher die medizinischen Geräte aussahen. Es hat fast etwas von Frankensteins Gruselkabinett. Man gewinnt einen Eindruck in frühere medizinische Behandlungen und in Krankenzimmer dieser Zeit. Ich bin nur einmal froh, dass wir nicht mehr in dieser Zeit lebe.

Meinen Unfall hätte ich zu dieser Zeit nicht überlebt.

Es haben sich in den Jahren bekanntlicherweise ja auch die Anforderungen an solche Einrichtungen geändert. So wird man heutzutage fast immer in Einzelzimmer untergebracht. Und jedes Zimmer hat sein eigenes Bad.
Das gab es früher nicht: die Klinik war nach Männlein und Weiblein getrennt und untergebracht waren die Patienten in großen Sälen. Damals gab es sogar getrennte Wäsche und Geschirr für Männer und Frauen.

Natürlich gibt es auch zwei neugebaute Klinikgebäude, denn es sind nicht mehr alle alten Gebäude in Betrieb. Auch an Schwimmbäder ist in den neuen Kliniken gedacht worden.

Im Gesundheitspark stehen Reha-Maßnahmen für die vielfältigsten Erkrankungen zur Verfügung. Es gibt die Klinik für Orthopädie und Rheumatologie (da war ich), Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Klinik für Innere Medinzin und Kardiologie, Klinik für Gastroenterologie und Stoffwechsel und die Kinderklinik.

Am Anfang kam ich mir sehr fremd vor, fremd und irgendwie auch einsam. Aber bei den vielfältigen Behandlungen kam keineswegs Langeweile auf. Ich hatte ein straffes Programm und somit von 7:30 bis 15:30 Uhr richtig viel zu tun. Das artete an manchen Tagen schon fast in Streß aus, wenn man von einer Behandlung zur nächsten hasten mußte.

Eine Therapeutin meinte mit Blick auf mein volles Programm: "Die wollen, dass Sie nochmal 18 werden."

Mein Therapieplan umfasste: Die Massage war herrlich! Es war eine wahre Wohltat für meinen verspannten Rücken.
Die Moorpackungen fand ich persönlich nicht so doll. Man sah hinterher aus wie ein Dreckschwein. Beim anschließenden Duschen mußte man ganz schön schrubben. Und der Geruch des Moores ist etwas gewöhnungsbedürftig.

Meine Kondition und auch Kraft wurde deutlich verbessert.
Beim Isokinetischen Training z. B. muß man bestimmte Bewegungsmuster gegen eine Maschine und damit einen Widerstand ausführen. Damit verbesserte sich schnell mein Bewegungsdefizit der rechten Schulter. Ich konnte meinen rechten Arm nicht mehr richtig bewegen. Auf den Rücken fassen ging gar nicht mehr. Irgendwie war da eine "Steife" in die Rotation gekommen.
An so einer Isokinetischen Maschine trainieren u. a. Sportler - Jan Ullrich quälte sich damit auch.
Eine Schinderei war es. Aber die hat unglaublich geholfen. Mein Bewegungsradius am rechten Arm hat sich normalisiert, ist aber immer noch nicht so wie früher.

Zur Kreativtherapie schickte mich die Psychologin. Man sagt, dass man mit der dort gewinnbaren positiven Energie die negative Energie nach so einem Trauma besser regulieren kann.
Anders gesagt, man lenkt sich durch die Arbeit an etwas Schönem ab. Ich bastelt ein Mobilee aus Ton. Immer vor Augen, wie das Mobilee mal aussehen soll und wo es hängen soll. Es machte mir unheimlich viel Freude.
Und vielleicht werde ich demnächst hier zu Hause zu einem Tonkurs gehen.
Soviel zur positiven Energie!

Die Gespräche mit der Psychologin waren hilfreich, auch wenn sie den Unfall bekanntlicherweise nicht ungeschehen machen kann.
Ich bin nach wie vor hin und hergerissen zwischen der unheimlichen Dankbarkeit, diesen Unfall überlebt zu haben, aber anderseits frage ich mich pausenlos "Warum ich?". Man hadert mit dem Schicksal und dann kommt auch unsägliche Wut auf die Personen hoch, die daran eine gewaltige Schuld tragen.

Mit meiner Halswirbelsäule hat sich nicht viel während der Reha getan. Ich kann mich immer noch nicht besser bewegen und habe Schmerzen am "Rand" des Bewegungsbereiches. Ebenfalls sind meine Rückenschmerzen immer noch allgegenwärtig.
Vielleicht bin ich zu euphorisch zur Reha gefahren; habe gedacht, dort riesige Fortschritte erreichen zu können.
Ich hoffte, nach der Reha wieder fast fit zu sein. Das muß doch endlich werden!
Ja, das war etwas zu naiv gedacht. Aber wie man weiß, stirbt die Hoffnung zuletzt.

September 2004
Im Anschluß an die Reha war ich zur nächsten OP vom 16.09. - 22.09.04 im Krankenhaus. Sozusagen "fliegender Wechsel".
Aus dem angedachten August wurde somit September. Aber bei der Langwierigkeit meines Wiederherstellungsprozesses kein großer Beinbruch.
Im Oberkiefer wurde Schleimhaut aus der Wangeninnenseite transplantiert, um die dortige schlechte Situation für den bevorstehenden Kieferaufbau zu verbessern.
Der Unterkiefer wurde vom Metall befreit, welches das Stück Beckenkamm fixierte. Das ist gut eingeheilt. Und so wurden dort 2 Implantate für die weitere prothetische Versorgung gesetzt. Die müssen jetzt wiederum ca. 4 Monate einheilen, bevor es dort weiter gehen kann.
Nach 7 Tagen konnte ich das Krankenhaus verlassen. Die dicke Backe nach der OP ist für mich ja nichts neues mehr. Genausowenig das tagelange Suppe essen.

Der nächste OP-Termin steht bereits schon an: am 22.11.04 gehts es wieder ins Krankenhaus. Dann wird im Oberkiefer Knochen aus dem Becken eingebracht und somit mein Oberkiefer rekonstruktruiert.

Dezember 2004
Jetzt wird im Oberkiefer "weitergewerkelt".

Die dort fehlenden 4 Zähne laß ich mir auch über Implantate ersetzen. In meinen jungen Jahren will ich mich nicht mit einer Prothese rumärgern müssen.
Die Übergangsprothese ist für den Übergang ganz o.k. - aber nicht ein Leben lang.
Bevor allerdings implantiert werden kann, muß auch hier der Kiefer wieder aufgebaut werden: da fehlt in Höhe und Breite Knochenmaterial. Dabei kommt wieder körpereigenes Material aus dem Beckenkamm zum Einsatz.
Bestimmte, sehr kleine Knochendefekte können auch mit einer künstlichen Knochenmasse aufgefüllt werden. Diesem Granulat werden eigene Knochenkrümmel beigefügt. Somit wird dem Körper "eigenes" Material vorgegaukelt und es heilt dann problemloser ein
Aufgrund meines beträchtlichen Kieferknochenverlustes ist diese Variante aber nicht machbar.

Von Vorteil für die Rekonstruktion könnten meine Zahnabdrücke von Anfang 2003 sein. Daran können die Ärzte genau sehen, wie der Kiefer und die Zähne einmal aussahen.

Der angedachte OP-Termin 22.11.2004 verschob sich auf den 13.12.2004. Und diesmal hatte ich doch einigen Bammel davor. Wußte ich doch genau, was auf mich zukommt. An die Schmerzen beim Unterkieferaufbau konnte ich mich noch zu gut erinnern.
Was mir sehr half, dass ich "bekannter" Umgebung war. Ich kenne alle Schwestern und Ärzte - das macht einen irgendwie schon etwas ruhiger, wenn man nicht gänzlich fremd ist.
Und die Beruhigungstablette am Abend vor der OP tat ihr übriges. Ich sage gern zu dieser Tablette "Leck-mich-am-A...-Tablette". Denn diese Wirkung hat die auch. Es ist einem wirklich so ziemlich alles egal.

Bei der OP wurde ein Sinuslift sowie ein Aufbau des Kieferknochens vorgenommen. Beim Sinuslift wird die Kieferhöhlenschleimhaut angehoben, um Platz für das einzusetzende Knochenstück zu schaffen. Durch den Unfall fehlte es mir an Knochenhöhe im Inneren - von außen gar nicht so extrem wahrnehmbar. Die späteren Implantate brauchen aber eine entsprechende Knochenhöhe für einen stabilen Halt.
Von außen sichtbarer war vielmehr, dass mein Kiefer schmaler als normal war. Um dies auszugleichen - und den Implantaten Halt zu geben - wurde der Kiefer auch "verbreitert". Dazu spaltete man den vorhandenen Kiefer der Länge nach und in diesen Spalt wurde ein Stück aus dem Beckenkamm eingebracht. Zur Fixierung drehte man zwei Schrauben durch den neu geschaffenen Oberkiefer. Der muß jetzt erst mal wieder ca. 3-4 Monate einheilen. Dann kann dort implantiert werden.

Nach der OP war ich wie üblich ziemlich knülle. Als ich nachts mal auf Toilette wollte, war ich selbst dazu zu schwach und mir schwindelte fürchterlich. Und die Schmerzen im Becken waren nicht von schlechten Eltern! Ich sah mich in meinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Aber am nächsten Tag "schien wieder die Sonne" - will heißen, mir ging es wessentlich besser. Ich traute mich sogar auf Krücken aus dem Zimmer zu einem kleinen Spaziergang durchs Krankenhaus.

Und rechtzeitig vor Weihnachten war ich wieder zu Hause. Allerdings musste ich mit dem Essen ziemlich aufpassen, durfte nur weiches zu mir nehmen. Aber nach den Suppen im Krankenhaus wird ein selbstgemachter Kartoffelbrei schon zur Festspeise.

Wenn die Zähne prothetisch wieder hergestellt sind, heißt es für mich eine Zahnspange tragen, da meine oberen Schneidezähne durch den Unfall nicht mehr an Ort und Stelle stehen.

Als "Feintuning" habe ich in ferner Zukunft noch folgendes vor:
Es gibt also noch viel zu tun. Ich packe es voller Optimismus an.

Hier geht es mit der Heilung 2005 weiter

Home